Wilhelm Berger
Wilhelm Berger
Freitag, 28. März 2014
Grußwort des österreichischen Philosophen Ao. Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Berger
Die Künstlerinnen und Künstler des UNIKUM, des Universitätskulturzentrums der Universität Klagenfurt, bei dem auch ich mitmache, haben vor einigen Jahren eine Intervention in die – damals noch von der rechtsextremen FPÖ dominierte – politische Landschaft des österreichischen Bundeslandes Kärnten gesetzt. Vor dem Landtagsgebäude steht ein Denkmal, das an einen deutschnationalen Gründungsmythos des Bundeslandes, die so genannte Kärntner Volksabstimmung 1920 und die ihr voraus gegangenen Kampfhandlungen, dem so genannten Abwehrkampf, erinnert. Vier abgebrochene, überdimensionierte Säulen tragen den Mythos weiter. Diesen Säulen wurden in einer Überraschungsaktion vier ebenso überdimensionierte Seppelhüte aufgesetzt, und ohne Worte haben die Beteiligten das weitere Geschehen abgewartet. Menschen liefen herbei und beschimpften die Täter. Schließlich kam die Polizei. Die technische Schwierigkeit, mit der sich dieses Publikum konfrontiert sah, war die kurzfristige Unverfügbarkeit einer Leiter, was die rasche Entfernung der Hüte verhinderte. Die Schwierigkeit der Polizei bestand darin, dass sich die Sache formaljuristisch schwer fassen ließ: Sachbeschädigung konnte den Seppelhüten nicht unterstellt werden, die verstreut herumstehenden KünstlerInnen und das Publikum waren kaum als unangemeldete Demonstration zu interpretieren. So machte die Presse einige schöne Fotos und die Sache verlief später im Sand.
Das ist die kleine Geschichte einer künstlerischen Intervention, eines Eingriffs in einen Raum, der als fremd, ja feindlich definiert war. Die Methode ist eine politische bricolage, also das Kombinieren von Gegenständen, hier von Seppelhüten, mit anderen Gegenständen, den Säulen, mit denen sie nichts zu tun haben. Dass die Seppelhüte und die Säulen letztlich aber dennoch einem gemeinsamen Kontext angehören, machte die Komik und zugleich die dekonstruktive Botschaft aus. Die Akteure haben sich sogleich zurückgezogen und wurden zum Publikum ihrer eigenen Aktion. Hier helfen nur Leitern und Polizei.
Ist diese kleine Geschichte auch für die Temporäre Kunstakademie Marzahn interessant? Deren Sprecher, Manager, Lektor, Sekretär, Schatzmeister, Küchenchef und Hausmeister Maurice de Martin kommt ja als Freund und erwartet sich zu Recht die freundliche Aufnahme, die er sich schon als nützlicher Fensterputzer erarbeitet hat. Er wird niemandem Seppelhüte aufsetzen. Und nun wird er auch noch ein, wie ich weiß, guter Gastgeber in Räumen sein, in denen nicht nur Interaktionen als Motoren der Erkenntnis stattfinden, sondern sogar bedingungslose Doktorwürden vergeben werden!
Dennoch ist auch die Temporäre Kunstakademie Marzahn eine Intervention, die fehlgehen würde, wäre sie ein bloß freundlicher Akt. Denn jedes künstlerische Tun steht vor der Alternative, entweder affirmativ das, was ist, zu repräsentieren, zu dekorieren, zu illustrieren, oder aber in irgendeiner Weise zu irritieren und zu befremden. Schon mit Maurice ist da! hat sich Maurice durch sein downgrading zum Fensterputzer exponiert, seinem Publikum direkt ausgeliefert. Er hat sich selber mit Kontexten kombiniert, in denen er normaler Weise nichts zu suchen hat. Im übertragenen Sinn hat er sich einen Seppelhut aufgesetzt. Wenn er nun andere Menschen mit in dieses Exponieren hinein zieht, indem sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Wohnungen öffnen, fordert er diesbezüglich etwas zurück. Das ist das Risiko derer, die sich hinein ziehen lassen.
Glückt der Vorgang, bedeutet er eine Intensivierung von Orten, Worten und Erfahrungen. Diese Intensivierung ist durch eine vorauseilende Harmonisierung nicht zu haben. Fremdheit und wechselseitige Befremdung sind seine Voraussetzung. Auch heute noch wird es jenes Sofa geben, auf dem die Tante nur ermordet werden konnte. Und genau hier, wo sich künstlerisches und alltägliches Tun wechselseitig fremd sind, finden Übersetzungsprozesse statt. Nicht in einem gemeinsamen, wenn auch künstlerischen, Pidgin-English können sie gelingen, sondern über einen Abstand hinweg. Das ist das Risiko derer, die sich exponieren, also beider Seiten. Dann bezeichnet Übersetzung, um den jüngst wieder problematisch gewordenen Martin Heidegger zu zitieren, einen Vorgang, in dem das, „was zu sagen ist, übergesetzt hat in eine andere Wahrheit und Klarheit oder auch Fragwürdigkeit“.
Es ist zu erwarten, dass die Temporäre Kunstakademie Marzahn zur Befremdungs- und Übersetzungsakademie in diesem Sinne wird, ein temporärer und beweglicher Ort der intensiven Erfahrungen, und damit mehr noch: ein Ort der freudigen Leidenschaften, um wieder einen Philosophen, nämlich Baruch de Spinoza, zu traktieren. Der kennt nämlich zwei Affekte: die traurigen und die freudigen Leidenschaften. Für ihn sind die Menschen von ihrem Wesen her nichts anderes als Vermögen, die nach ihrer Verwirklichung drängen. Wenn die Vermögen eines Menschen von anderen ignoriert oder beschränkt werden, entstehen die traurigen Leidenschaften: Angst und Hass. Die freudigen Leidenschaften hingegen werden frei, wenn ein Mensch auf einen anderen trifft, so, dass beide ihr Vermögen verwirklichen. Dadurch entsteht mehr, als die bloße Addition der beiden Vermögen: eins und eins wird mehr als zwei. Es entsteht etwas neues, man könnte modern sagen, ein zusammengesetztes, plurales Werden. Man freue sich auf diese Leidenschaften!
Wilhelm Berger, Rom, 28.03.2014